Im Netz der Gestirne 1928

Im Netz der Gestirne (1928)

"Das vorliegende Buch enthält eine Auswahl von Gedichten aus einer Reihe lyrischer Organismen, die im Laufe von rund fünfzehn Jahren entstanden, der Zeitverhältnisse wegen bisher nicht gedruckt werden konnten. Während es sonst Gepflogenheit der Lyriker ist, ihren nach und nach erschienenen Büchern als Abschluß eine werbende Auswahl folgen zu lassen, macht umgekehrt diese hier einen Anfang und will versuchen, einem vielbändig zurückgehaltenen Werk überhaupt erst einmal den Weg zu ebnen." Carl Albert Lange im Nachwort.

Inhalt

Säugling
Geschwister
Fremde
Der Schatten
Anna Pawlowa
Odysseus
Sibylle
Blatt
Fledermaus
Motte
Chopin

Mensch

Säugling
Da liegt sein Köpfchen winzig klein
im weiß erblühten Kissengrund,
verträumter Narbe Honigmund,
bestäubt vom goldnen Sonnenschein.

Und, Staubgefäße zart geschwellt,
stehn seine Finger dicht in Ständen,
ach, schüchtern an den kleinen Händen
kristallisiert sich Traum zu Welt.

Seite 11

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Geschwister
So rein wie Sterne funkeln,
geronnen aus lauter Licht
an deinem großen und dunkeln
atmet sein kleines Gesicht.

Die winzigen Hände tasten
dich strahlenzärtlich an,
als ob sies innig wüßten,
was tief in dir begann.

Von deinem Leib gehoben,
dem weißen Kuppelrund,
strafft sich vor Lust sein Körper
und lallt dich an sein Mund,

und also stampft ein nackter,
ein blütenzarter Fuß
dem Bruder im Gewölbe
den ersten leisen Gruß.

Seite: 15

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Frauen

Fremde
Irgendwo sah ich dich schon,
wo anders der Menschen Gebärde
und seltsamer spielen die Pferde
im fremder noch schläfernden Mohn.

Ach, im fiebernden Licht
vom Wind des Schlafs schon umfächelt,
hast du mir einmal nicht
flüchtig ins Herz schon gelächelt?

Dort am Fenster, du Blasse,
wo du vor Zeiten gewohnt
in der vergessensten Gasse
jener silbernen Stadt auf dem Mond!

Seite 32

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Gestalten

Der Schatten
Tret’ nachts ich zum Balkon hinaus, 
streckt drüben, ein Gigant am Haus
mein Schatten seine Arme aus. 

Und dreifach winzig dünk’ ich mich, 
seh’ also ungeheuerlich
mein Wollen ich gebärden sich.

Seite 52. Auch veröffentlicht im „Der Kreis“ 5. Jahrgang, November 1928, Seite 663

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Anna Pawlowa
Rose vom Mond,
weiß, uns rührendes Reh,
wirbelnde Flocke Schnee,
tragendes Licht gewohnt!

Falter, gereift aus Flaum,
Elfe zu keuschem Gestrahl
Wölbend der Stirne Opal,
silberne Flamme im Traum!

Blatt von der Birke du leicht,
seidene Schwester des Schwans,
ach, gen Himmel geneigt,
Stern des irdischen Wahns!

Anna Pawlowa: russische Meistertänzerin des klassischen Balletts.

Seite: 53. Auch veröffentlicht im „Der Kreis“ 5. JG., Februar 1928, S. 127

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Odysseus
Hier an den Mastbaum bindet mich,
indeß ich Wachs ins Ohr mir stopfe,
daß mir das Herz im Hals nicht klopfe,
naht plötzlich die Sirene sich.

Daß ich nicht höre süß und bang,
davon die Adern mir zerspringen,
wie einer Blume Blut sie singen
den sinnbetörenden Gesang.

Daß ich vorbei in wilder Fahrt,
das Gift doch schon in jeder Vene,
ein Leben lang mich nach ihr sehne,
im Geist für ewig ihr gepaart!

Seite 54

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Sibylle
Wie einst die Meduse des Perseus geharrt,
aus mattem Elfenbein die Stirn,
umschäumt von krausem Bronzezwirn
düster und ehern im Nacken erstarrt.

Die Wollust der Lippen gekühlt wie mit Eis,
o zwischen den Brauen das zürnende Mal,
darunter der Blick aus Smaragd und Stahl,
der Blick, der die letzten Geheimnisse weiß!

O Wunder vorm nächtlichen Spuk der Fabrik,
du flammst mir vorüber, du Antlitz voll Geist,
und dunkel ists mir wie ferne Musik,
als ob du die Schwester von Berlioz seist.

Seite 56

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Baum und Blume

Blatt
Ein Blatt, zerstört bis aufs Gerippe,
ein feines seidenes Skelett
voll Mahnung an Vergehen und Staub,
schläfts in der Blätter sommerlichem Bett
vom letzten Herbst noch, und mit scheuer Lippe
schmeichle den Tod ich aus dem Laub.

Seite 63

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Tiere

Fledermaus
Seltsam in sich selbst gefaltet,
larvenhaft und grau und welk,
träge noch und ungestaltet
hängst am Tag du im Gebälk.

Aber, schwebt die Dämmerung nieder, 
flatterst du befreit hinaus,
meiner Schwermut immer wieder
schwesterliche Fledermaus.

Seite 73, Auch in „Mensch dieser Zeit“

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Motte
Den winzigsten Pinsel
hat Gott sich gespitzt
und aus Stäubchen Perlmutt
ins Lich dich gespritzt.

O Spiegel an Spiegel
zum Fächer gereiht,
du seidenes Wunder
im schillernden Kleid.

So schwebst du im Raume,
dem kleinen Atom
im Wirbel der Farben
ein magischer Dom.

Seite 81

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Chopin

I
Violinschlüssel
steht das Ch
träumerisch da.

Wie ein Duft aus verwunschenem 
Gobelin
tönt es - Chopin.

Und es lieben die Ewigen
dieses Lebens  müde
kurze Etüde.

Seite 93

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