Aus dem Kontobuch, September 1941
Abschrift von einer Tonbandaufnahme gesprochen von Frieda Lange-Dudler
Du liebe Frau! Für unsres Kaufkrams Auf und Nieder in Tagen wahrlich schlimm und grau gabst du mir dieses Kontobuch. Ich sollt es führen recht genau. Indes ich ward‘ nicht recht draus klug. Beim Zuckerhut so köstlich blau, du gabst mir durch dies Kontobuch ein Stück von meiner Kindheit wieder, das dank ich dir, du liebe Frau! Eine Mark, mein liebes Kind, hundert blanke Pfennig sind. Hundert Pfennig sind ein Quark, denn sie sind nur eine Mark. Eine Mark, mein liebes Kind, hundert blanke Pfennig sind. Zieh ab, zähl zu, vervielfach, teil, ein Tanz bleibt’s ewig auf dem Seil. Ein Liter Halbmilch gleich 28 Pfennig. Blau ist der Himmel - blau die Milch. Kein Tag vergehet ohne Zahl Und immer heißt’s nur: zahlen, zahlen! Oderkrebse - Stück fünfzehn Pfennig Blaumilch und ein Achtel Vollmilch. Bunt ist das Leben, bunt das Kontobuch! Keine Zigarre, keine Zigarette, kein Tabak! Schuhbesohlung fünf Mark!
Lass das Subtrahieren, lass das ew‘ge Dividieren! Lerne Addieren, lerne Multiplizieren! Kaffee ist keine Gerste, aber mirabile dictu: Gerste doch Kaffee. Weh, schon im Paradies geschah Allotria statt Algebra. Ein Freudentag: Hab erhalten! Lass mich schalten! Auszugeben, Herz, welch Leben! Es wird der Tod dich heimlich subtrahieren von der Millionen endlos reger Szene. Zweihundertdreizehn Knochen sind alsdann sein eigen und, wenn es hochkommt, zweiunddreißig Zähne. Zähle die Tage, zähle die Stunden, aber das Geld nicht, das dir entschwunden. Wer dem Pfennigkraut nicht traut, hol sich Tausendgüldenkraut. Doppelte Buchführung, welch ein Begehr! Diese, die einfache, dünkt mich schon schwer.
Lass dein linkes Herz nicht wissen, was dein rechtes tut. Gib, so du hast, es lindert deine eigene Last! Was kostet dies, was kostet das? So geht es ohne Unterlass und immer muss der Mensch nur laufen und kaufen. Armer Esau, die paar Linsen brachten deinem Bruder Jakob einen ganzen Berg voll Zinsen. Ich brauche kein Geld der Welt, weder per Bank noch in bar. Ich schenk es dem Hypothekar. Ich brauche kein Geld der Welt, mein Luftschloss, das hält. Was wär die Null, wär sie nicht aufgepumpt und hielt sich an den Wert nicht, an den wahren. Das Konto beglichen, die Rechnung zerrissen. Es lebe die Waage, das gute Gewissen.
Willst als Mann du nicht verderben, lass das Kind nicht in dir sterben. Schaufle Gold zu Haufen, nimmer bleibt’s am Fleck. Kommt ins Rutschen und ins Laufen und als letzter Pfennig lief’s noch jedem weg. Wie das A und das O, wie Null und Unendlich, ist alles bestimmt und in Gott unabwendlich. Nicht genug: kurzer Blick ins Kontobuch. Wahre Rechnung magst du lernen aus den Sternen. Wie hat uns Geringes doch einst beglückt: eine blanke Oblate, ein Abziehbild, ein Jahrmarktsfläschchen mit Sauglimonade, ein Lebkuchenherz mit gedrucktem Schild, ein zärtlich rosa Glückspaket, und ob das nun alles auch längst verweht: ich buch es als Habe auch heut noch entzückt.
Weißt du, wieviel Sternlein prangen an dem blauen Himmelszelt? Weißt du, wieviel Röslein öffnen ihre Äuglein auf der Welt? Weißt du, wieviel Liebesperlen wir geschnopt für Mutters Geld? Du hast dies Büchlein mir vermacht, um diese Mark und jenen Groschen. Woran du aber kaum gedacht: gleich hat’s mir etwas eingebracht, und zwar des Glücks Galoschen. Eine Prise rasch für dich noch, Adam Riese, der du uns das Rechnen lehrtest, uns das Rechenbuch beschertest. Recht so, Alter, niese, niese! Niese noch mal, edler Riese! Niesen kann man nie genug, auf das erste Rechenbuch. Ich rate auch dir ein Kontobuch zu führen. Und du wirst gleich mir Glück des Gleichgewichts verspüren.