Mensch dieser Zeit
Herausgegeben aus dem Nachlaß von Frieda Lange-Dudler
Kleine Trilogie vom Menschen
I DES MENSCHEN HIRN Häuser, Bäume, Masten spiegeln in der Flut sich, und sie wanken auf dem Kopfe, und sie wirren bunt zu Masern sich und Ranken. Hirn in uns, dem Wasser gleichst du, hauchfein ahmst du nach sein Schwanken, Welt steht kopf in deinem Spiegel, alle Dinge machst du wanken. II MENSCHLICHER BESITZ Nichts gibt es, das sich nicht bewegt, nichts, was du immer könntest halten, nichts, das nicht insgeheim sich regt, aus sich ein andres zu gestalten. Was tot, ist scheintot, die Natur weiß nichts von Tod, sie dampft nur Leben, was in ihr welkt, das endet nur, als neuer Keim sich zu erheben. Nichts gibt's auf diesem Erdenball, das fest im Netz sich läßt erhaschen, es schlüpft die Welt, das ganze All, eh' du's gedacht, dir durch die Maschen. III ZWIEWESEN MENSCH Des Menschen Hirn es gleicht dem Schach, des Menchen Herz dem Fisch im Bach. Des Menschen Hirn umfaßt das All, des Menschen Herz spielt mit ihm Ball. Des Mensch Hirn verklammt am Spott, des Menschen Herz flammt auf in Gott.
Mensch dieser Zeit: 4
Die Städte der Erde sind Menschenwerk
Die Städte der Erde sind Menschenwerk, die Länder der Erde nicht minder, die Erde hat andere Zonen gehabt und andre Gezeiten und Kinder. Die Städte der Erde sind Menschenwerk, entstellt ist die Erde von Schwären, es richten, es stürzen die Menschen den Turm, nicht stört es den Schoß im Gebären. Die Erde läßt Zeit sich im ewigen Raum, sie sinnt ihre fernsten Geschlechter, die Städte der Erde sind Menschenwerk, den Sternen im All ein Gelächter.
Mensch dieser Zeit: 10
Nichts besteht
Nichts besteht, der Sand selbst rieselt, anderm Sand sich zu vertauschen; wo sie auch den Strand bekieselt, ruhlos Flut in Flut vergeht, Wind Wasser sie verrauschen, sieh, im Sande mit den süßen Perlabdrücken deiner Zehen mischt sich Schrift von Möwenfüßen, heut, ach, heut noch zu verwehen. * Wieviel Sterne dort am Himmel friedlich beieinander stehn, die in Wahrheit dunkle Stürme rasend auseinander wehn! O, was graut mir durch die Glieder, da ich so uns sehen muß! Komm, o komm, geliebte Seele, gib Vergessen mir im Kuß!
Mensch dieser Zeit: 45
Frieda Lange-Dudler hat diese Aufzeichnungen mit einem Tonbandgerät in ihrer Wohnung in der Neumünsterstraße aufgenommen in einer Zeit, wo in der Gärtnerstraße noch die Straßenbahn fuhr. Das Geräusch der verbeifahrenden Tram ist z.T. störend zu hören.